Die chemische Kastration beim Hund
- Von med. vet. Bianca Michoud-Valente
- 27.03.2024
Früher war die Kastration ein Eingriff, der standardmässig bei der Mehrheit der Hunde durchgeführt wurde. Heute hingegen überlegen sich viele Hundebesitzer, ob eine Kastration für Ihr Tier die richtige Entscheidung ist. Die Kastration hilft zwar, einer Überpopulation vorzubeugen, sie kann jedoch auch unerwünschte Nebenwirkungen haben oder aus medizinischen oder verhaltensbedingten Gründen nicht angezeigt sein. In solchen Fällen kann die reversible chemische Kastration durchaus eine vorteilhafte Alternative sein.
Was ist eine chemische Kastration?
Die chemische Kastration ist eine Methode, die bei gesunden, nicht kastrierten und geschlechtsreifen Rüden angewendet wird, um eine vorübergehende Unfruchtbarkeit zu erzielen. Sie imitiert die Effekte der chirurgischen Kastration und kann jederzeit und ohne Altersbeschränkung durchgeführt werden.
Wie funktioniert die chemische Kastration?
Die chemische Kastration erfolgt mithilfe eines kleinen stäbchenförmigen Implantats, das etwa so dick ist wie eine grosse Spaghetti und zwischen 1 und 2 cm lang ist. Es wird mit einer einfachen Injektion unter die Haut gesetzt. Das Implantat setzt dann langsam ein Hormon namens Deslorelin frei, welches die für die Produktion von Spermien und Testosteron zuständigen Hormone hemmt. Dadurch stellen die Hoden die Testosteron- und Samenproduktion ein und schrumpfen. Die Wirkung ist damit mit der chirurgischen Kastration vergleichbar, bei der durch die Entfernung der Hoden, die Testosteron- und Spermienproduktion ebenfalls wegfällt.
Wie lange ist eine chemische Kastration wirksam?
Bei der chemischen Kastration stehen zwei Implantatdosierungen zur Verfügung: Eine niedrigere Dosierung mit einer Wirkdauer von rund sechs Monaten und eine höhere Dosierung mit einer Wirkdauer von rund zwölf Monaten. In beiden Fällen kann die Wirkung über die angegebene Zeit hinausgehen, da der Körper einige Wochen benötigt, um die Hormon- und Spermienproduktion wieder aufzunehmen. Die chemische Kastration kann beliebig oft wiederholt werden (z. B. wenn eine dauerhafte chirurgische Kastration nicht erwünscht ist). Es gibt keine empfohlene maximale Anwendungsdauer.
Ab wann ist die chemische Kastration wirksam?
Nach dem Einsetzen des Kastrationsstäbchens ist es ratsam in den ersten 6 bis 8 Wochen wachsam zu sein, da der Rüde in dieser Zeit noch fruchtbar sein kann. Nach Ablauf dieser Frist können Sie Ihren Hund als kastriert und unfruchtbar betrachten.
Weshalb chemisch kastrieren?
Die chemische Kastration hat verschiedene Anwendungsbereiche. Ihr Hauptzweck liegt in der temporären Sterilisation von Rüden, wodurch die Fortpflanzung verhindert wird, um so eine unkontrollierte Vermehrung von Hunden sowie die Übertragung von sexuell übertragbaren Krankheiten wie Hundeherpes zu verhindern.
Darüber hinaus bietet die chemische Kastration ähnliche Einsatzmöglichkeiten wie die chirurgische Kastration, jedoch mit dem Vorteil, dass die Wirkung reversibel ist. Zudem bietet sie durch ihre umkehrbaren Effekte zusätzliche, spezifische Vorteile und damit Indikationen.
Die chemische Kastration wird am häufigsten aus den folgenden Gründen eingesetzt:
Die Tatsache, dass die Wirkung der chemischen Kastration reversibel ist, eröffnet weitere Anwendungsgebiete, bei denen man möchte, dass der Zustand nicht endgültig ist:
|
Wird mein Hund durch die chemische Kastration braver?
Manchmal wünschen sich Hundebesitzer eine chemische Kastration, um Verhaltensprobleme zu behandeln, die mit den männlichen Sexualhormonen zusammenhängen (oder eben auch nicht!), wie bestimmte Arten von Aggression, überschäumende Energie, Harnmarkieren, Streunen oder das Aufreiten auf anderen Hunden oder Menschen. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass eine Kastration – sei sie nun chemisch oder chirurgisch – zwar einige unerwünschte Verhaltensweisen deutlich reduzieren kann, sie jedoch kein Allheilmittel ist. Sie kann niemals ein Ersatz für eine angemessene Erziehung, sinnvolle Beschäftigung und gute Sozialisierung sein.
Was sind die Nebenwirkungen einer chemischen Kastration?
Paradoxerweise kann es zwei oder sogar drei Wochen nach dem Einsetzen des Kastrationsimplantats zu einem vorübergehenden Anstieg der Sexualhormone kommen, bekannt als "Flare-up-Effekt". Dies kann sich in einem verstärkten Sexualtrieb, häufigerem Markieren, Unruhe oder Nervosität zeigen. Diese Reaktionen sind jedoch nur vorübergehend und klingen mit der Zeit wieder ab.
Abgesehen davon hat die chemische Kastration die gleichen Nebenwirkungen wie eine chirurgische Kastration, mit dem Unterschied, dass sie nur vorübergehend sind!
Zu den gängigen Nebenwirkungen, die in unterschiedlicher Häufigkeit auftreten können, zählen:
- Gewichtszunahme und Fettleibigkeit
- Verminderte Energie, selten Lethargie
- Erhöhtes Risiko für Kreuzbandrisse
- Bei bestimmten Hunderassen eine Veränderung der Fellqualität, wobei das Fell weicher oder flauschiger wird (z. B. beim Cockerspaniel, Setter, Golden Retriever, Husky, Labrador usw.)
- Harninkontinenz
Da die Gewichtszunahme die häufigste Nebenwirkung ist, ist es ratsam, konsequent auf ein spezielles Futter für kastrierte Hunde umzusteigen und die täglichen Futtermengen nach einer chemischen oder chirurgischen Kastration sorgfältig zu überwachen. Dies hilft, einer Gewichtszunahme entgegenzuwirken und Übergewicht vorzubeugen.
Was sind die Nachteile einer chemischen Kastration?
Die Nachteile der chemischen Kastration sind gleichzeitig auch ihre Vorteile: Die Wirkung ist zeitlich begrenzt und reversibel. Das bedeutet jedoch auch, dass sie keine dauerhafte Lösung darstellt und, wenn eine chirurgische Kastration nicht in Frage kommt, regelmässig erneuert werden muss. Dies kann höhere Kosten verursachen. Ausserdem tritt die Unfruchtbarkeit nicht so schnell ein wie bei der chirurgischen Methode.
Was sind die Vorteile einer chemischen Kastration?
Der Hauptvorteil der chemischen Kastration liegt in ihrer Reversibilität und der Tatsache, dass das unter die Haut gesetzte Implantat, jederzeit wieder entfernt werden kann. Nach einigen Wochen nimmt der Körper seine Hormonproduktion wieder auf und die Wirkung der Kastration lässt nach. So erhält der Hund sein ursprüngliches Verhalten und seinen Körperbau zurück, was besonders vorteilhaft ist, wenn es bei der chemischen Kastration zu unerwünschten Nebenwirkungen gekommen ist!
Die chemische Kastration kann damit auch als Test eingesetzt werden, wenn man noch zögert, den Rüden dauerhaft kastrieren zu lassen, weil man bestimmte Nebenwirkungen befürchtet. Sie bietet eine Möglichkeit, die Auswirkungen einer chirurgischen Kastration vorab zu beurteilen, insbesondere wenn Unsicherheiten bezüglich der Effekte auf bestimmte Verhaltensprobleme bestehen. So kann eine fundierte Entscheidung für oder gegen eine permanente Kastration getroffen werden.
Und was ist mit den Hündinnen?
Die chemische Kastration mittels Implantat kann auch bei sehr jungen, gesunden, noch nicht geschlechtsreifen Hündinnen angewendet werden, um die erste Läufigkeit zu verzögern oder ganz zu unterbinden und so einer Trächtigkeit vorzubeugen.
Sie wird normalerweise aus folgenden Gründen durchgeführt:
- Um die erste Läufigkeit hinauszuzögern, was mehr Bedenkzeit ermöglicht, bevor man sich für oder gegen eine chirurgische Kastration entscheidet.
- Wenn man nicht frühzeitig kastrieren möchte, die Hündin aber mit einem Rüden zusammenlebt oder ein spezielles Training erhält (Arbeits- oder Assistenzhund).
- Zur Beurteilung, ob die Kastration unerwünschte Nebenwirkungen auslöst, wie zum Beispiel Harninkontinenz oder Fellveränderungen.
Bei bereits geschlechtsreifen Hündinnen wird die chemische Kastration wegen des Risikos der Entstehung von Eierstockzysten oder Gebärmuttererkrankungen nicht empfohlen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die chemische Kastration viele Vorteile bietet und dank der Tatsache, dass sie nicht dauerhaft ist, immer wieder rückgängig gemacht werden kann, wenn es letztlich nicht das ist, was man sich für seinen Hund wünscht.