Mein Hund kann nicht allein bleiben - was tun?
- Von med. vet. Bianca Michoud-Valente
- 07.12.2022
Zum Einkaufen, zum Arzt, zum Coiffeur – hierhin und an viele weitere Orte können wir unsere Hunde nicht mitnehmen. Wenn Hunde nicht bereits im Welpenalter gelernt haben, ruhig allein zu bleiben, kann das Alleinsein grossen Stress verursachen. Die Trennungsangst kann sich dabei in lautem oder zerstörerischem Verhalten zeigen. Diese Situation ist weder für das Tier, das darunter leidet, noch für seinen Besitzer, der sich in dieser Situation oftmals emotional überfordert fühlt, einfach. In unserem neusten Ratgeberbeitrag finden Sie einige praktische Tipps, wie Sie Ihrem Hund das Alleinsein beibringen können.
Ursachen für Trennungsangst
Schon als Welpen empfinden Hunde eine gewisse Angst, wenn sie allein sind, denn als soziale Tiere fühlen sie sich am sichersten, wenn sie mit ihren Familienmitgliedern zusammen sind. Welpen müssen daher schrittweise lernen allein zu sein, indem ihre Besitzer sie zuerst ganz kurz, dann für einen immer längeren Zeitraum allein lassen. So lernen sie, dass nichts Schlimmes passiert wenn sie allein sind, und dass ihre Besitzer immer wieder zurückkehren. Sie lernen dabei auch, dass sie sich selbst ablenken können, und gewinnen so an Selbstvertrauen.
Wurde das Alleinbleiben nicht richtig trainiert, so fällt es gewissen Hunden schwer, ein solches Vertrauen aufzubauen. Manche wurden als Welpen viel zu lange allein gelassen und dadurch traumatisiert, andere wurden sogar ausgesetzt und vernachlässigt, wieder andere wurden gar nie allein gelassen und konnten deshalb nicht lernen, mit dem Alleinsein umzugehen. Solche Hunde entwickeln dann häufig grossen Stress bis hin zu regelrechter Trennungsangst, wenn ihre Besitzer abwesend sind.
Im Moment ist dies beispielsweise bei vielen Welpen der Fall, die während der Covid Pandemie adoptiert wurden. Sie haben mehrere Monate oder sogar ein ganzes Jahr in ständiger Gesellschaft ihrer Besitzer verbracht und müssen nun plötzlich stundenlang allein bleiben, weil ihre Besitzer nicht mehr im Home-Office arbeiten können.
Wie erkennt man, ob ein Hund an Trennungsangst leidet?
Viele Hunde, die an Trennungsangst leiden, richten im Haus verheerende Schäden an: sie zerkauen und zerstören Möbel oder Wände, bellen stundenlang, leeren die Mülltonnen oder zerkratzen Türen. Damit wollen sie nicht die Aufmerksamkeit ihrer Besitzer erregen, sondern dieses Verhalten ist in erster Linie ein Zeichen ihrer panischen Angst.
Es gibt jedoch auch Hunde, bei denen es nicht so offensichtlich ist, dass sie leiden und Stress empfinden, wenn sie allein gelassen werden. Sie sitzen eventuell die ganze Zeit hechelnd vor der Haustüre oder laufen durch die Wohnung, ohne sich eine Sekunde lang entspannen zu können. Um festzustellen, wie sich Ihr Hund während Ihrer Abwesenheit verhält, kann es daher hilfreich sein, ihn mit einer Haustierkamera zu überwachen.
Obwohl es viel Zeit, Geduld und positive Verstärkung erfordert, ist es glücklicherweise möglich, ängstlichen Hunden das Alleinbleiben beizubringen!
Den Hund schrittweise an das Alleinsein gewöhnen
Da der Lernprozess des Alleinseins beim erwachsenen Hund langwierig ist und Monate dauern kann, empfehlen wir Ihnen als erstes, für Ihren Hund eine Betreuungsmöglichkeit zu finden, die sich während Ihrer Abwesenheit um ihn kümmert. Bis er gelernt hat mit der Situation gelassen umzugehen, sollten Sie unbedingt vermeiden, dass er langem und stressigem Alleinsein ausgesetzt ist.
Da die Übungen viel Zeit und Engagement erfordern, ist es ratsam, am Alleinsein zu arbeiten, wenn Sie genügend Zeit haben, z.B. während den Ferien oder an Wochenenden.
Zunächst einmal sollten Sie Ihre Routine ändern, bevor Sie das Haus verlassen. Sie sollten versuchen, diese so kurz wie möglich zu gestalten. Stecken Sie Ihre Schlüssel schon vorher in die Tasche und stellen Sie Ihre Schuhe bereit, um Sie vor der Türe anzuziehen. Hunde sind äusserst aufmerksame Tiere, und Rituale sind sehr wichtig für sie. Sie kennen daher Ihre Routine beim Verlassen des Hauses sehr gut und je länger diese Routine dauert, desto mehr Zeit haben die Hunde, zunehmend Angst aufzubauen. Bauen Sie einzelne Routineschritte, wie das Packen der Handtasche oder das Anziehen von Schuhen, auch ins Alltagsleben ein, ohne dass Sie anschliessend das Haus verlassen. So verlieren diese Tätigkeiten mit der Zeit die angsteinflössende Wirkung auf den Hund.
Als Nächstes sollten Sie das Haus schnell und ohne grosse Abschiedszeremonie verlassen. Schenken Sie Ihrem Hund dabei keine besondere Aufmerksamkeit. Wenn Sie Ihren Hund beim Abschied übermässig streicheln und sich sehr gefühlvoll von ihm verabschieden, verstärkt dies bei ihm das Gefühl, dass Ihr Weggang ein wichtiges Ereignis ist.
Beachten Sie stattdessen Ihren Hund während mindestens zehn Minuten vor dem Weggehen nicht. Beim Hinausgehen sagen sie entweder nichts oder nur etwas Beiläufiges wie „bis später“, etwas, das dem Hund signalisiert „ich gehe weg und komme wieder“. Kehren Sie danach um, und kommen Sie dreissig Sekunden bis eine Minute später wieder zurück. Achten Sie dabei darauf, dass Sie die Tür in einem Moment öffnen, indem Ihr Hund weder bellt noch winselt. Begrüssen Sie dabei den Hund nicht, sondern gehen Sie Ihren Tätigkeiten nach und ignorieren ihn erneut etwa zehn Minuten lang.
Gehen Sie am ersten Tag etwa zehnmal rein und raus, wobei Sie die Dauer Ihrer Abwesenheit jedes Mal etwas verlängern. Wenn Sie nach Hause kommen und Ihr Hund unter Stress steht, reduzieren Sie die Zeit um die Hälfte. Erhöhen Sie sie erst dann wieder, sobald das ängstliche Verhalten verschwunden ist.
Sobald Sie erste Ergebnisse sehen, beginnen Sie, die Dauer Ihrer Abwesenheit zu variieren. Gehen Sie erst fünf Minuten weg, dann nur zwei, dann wieder sieben, dann drei, dann zehn Minuten, etc. Verlängern Sie gleichzeitig weiterhin ganz langsam die Dauer der Abwesenheit, bis Sie erst 30 Minuten, dann eine Stunde und schliesslich zwei Stunden erreicht haben.
Einen sicheren Rückzugsort schaffen
Manchmal ist es hilfreich, den Freiraum des Hundes während der Abwesenheit einzuschränken. Ein solcher Rückzugsort hilft Ihrem Hund, sich sicher und geborgen zu fühlen. Es verhindert zudem, dass er durch das ganze Haus streifen kann und Zugang zu Dingen hat, die für ihn gefährlich sein könnten. Idealerweise wählen Sie dafür einen Ort, an dem er sich normalerweise entspannt und schläft und an dem sich sein Bettchen befindet. Begrenzen Sie dann den Raum mit einem Gehege oder einem Absperrgitter und trainieren Sie mit ihm das Alleinbleiben in diesem Rückzugsort, auch wenn Sie zu Hause sind.
Das Selbstbewusstsein des Hundes stärken
Neben diesen Übungen zur schrittweisen Gewöhnung gibt es noch weitere Massnahmen, die Sie ergreifen können, um das Selbstvertrauen Ihres Hundes zu stärken. Ein Erziehungskurs in einer Hundeschule kann hilfreich sein, auch wenn Ihr Hund bereits erzogen ist. Er kann in solchen Kursen lernen, mit neuen Situationen umzugehen und Ihnen als Halter zu vertrauen.
Es ist ebenfalls sehr wichtig, dass Sie die Bindung zu Ihrem Hund stärken. Dies geschieht nicht nur beim Streicheln und Schmusen, sondern auch bei Aktivitäten, die eine starke Beziehung fördern, wie z. B. Agility, Dog Dancing, Cani-Cross, Ballspiele, Schnüffelspiele usw. . All diese Aktivitäten fördern das Wohlbefinden des Hundes und stärken sein Vertrauen zu Ihnen.
Den Hund während des Alleinseins beschäftigen
Neben diesen Übungen ist es wichtig, dass Sie Ihrem Hund während Ihrer Abwesenheit etwas anbieten, womit er sich beschäftigen kann. Es kann sein, dass Ihr Hund anfangs zu ängstlich ist, um während Ihrer Abwesenheit zu spielen oder zu knabbern. Mit der Zeit wird er aber beginnen, sich dafür zu interessieren. Übrigens: Neben der Angst kann auch Langeweile eine Ursache dafür sein, dass sich Ihr Hund nicht wohlfühlt. Und auch Langeweile kann sich in störendem Bellen oder zerstörerischem Verhalten äussern.
Indem Sie Ihren Hund während Ihrer Abwesenheit beschäftigen, können Sie ihm helfen, seine Gefühle zu vergessen und sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren, die ihn ablenkt. Ausserdem wird Ihr Hund, wenn er mit dem Knabbern von Spielzeug beschäftigt ist, weniger auf die Idee kommen, das Sofa oder eine Tür anzuknabbern. Bieten Sie ihm daher etwas an, womit er sich beschäftigen kann: gefüllte (mit Kroketten, Kiri, Erdnussbutter, Leberwurstpaste ...) und gefrorene (damit sie länger halten) Kongs, Schnüffelteppiche oder anderes, ungefährliches Futterspielzeug.
Vergessen Sie nicht, die Futterration Ihres Hundes zu reduzieren, wenn Sie ihm tagsüber kalorienreiche Leckerlis geben!
Daneben ist es auch sehr wichtig, dass sich Ihr Hund körperlich und geistig auspowern kann, bevor er allein gelassen wird. In diesem Zustand wird es für ihn einfacher sein, ruhig und gelassen zu bleiben. Das heisst, dass er tatsächlich gefordert wird, zum Beispiel mit einem „Abenteuerspaziergang“, bei dem sich körperliche und geistige Übungen abwechseln. Denn auch geistige Stimulation ist entscheidend, um einen Hund müde zu machen. Lassen Sie sich dabei ruhig von einem Hundetrainer beraten, der Ihnen hilft, eine Spaziergangsroutine zu entwickeln, die auf die Bedürfnisse und das Niveau Ihres Hundes abgestimmt ist.
Nahrungsergänzungsmittel, die bei der Stressbewältigung helfen
Es gibt Nahrungsergänzungsmittel auf pflanzlicher Basis oder mit natürlichen Substanzen, die für Hunde, die nicht gerne allein sind, hilfreich sein können. Sie sind speziell darauf ausgerichtet, gegen Stress und Angstzustände zu helfen.
Solche Nahrungsergänzungsmittel gibt es in Tablettenform, wie Anxitane mit L-Theanin aus Grünteekonzentrat, oder als Kapseln und Chews, wie Zylkène auf Basis von Milcheiweiss. Auch als Kräutermischungen, wie Silencio oder in flüssiger Form, wie cdVet Calma, sind sie erhältlich. Zusätzlich können beruhigende Pheromone, wie Adaptil, Ihrem Hund helfen, sich besser zu entspannen.
Diese Nahrungsergänzungsmittel ersetzen zwar keinesfalls die oben genannten Übungen, sind jedoch eine grossartige Unterstützung des Trainings.
Was tun, wenn nichts funktioniert?
Verhaltensstörungen, die mit dem Alleinsein und der Trennungsangst zusammenhängen, treten in verschiedenen Schweregraden auf. In manchen Fällen ist die Lösung einfach. Es reicht aus, Kauspielzeug bereitzustellen, den Hund gut auszulasten und ihm vor dem Verlassen des Hauses keine Aufmerksamkeit zu schenken. Andere Fälle hingegen können eine Desensibilisierung unter professioneller Begleitung erfordern. In ganz schwierigen Fällen kann es auch notwendig sein, dass ein in Verhaltensmedizin ausgebildeter Tierarzt angstlösende Medikamente verschreibt.
Eine weitere Möglichkeit, die hilfreich sein kann, ist die Adoption eines zweiten Hundes. Selbstverständlich kommt das nur in Frage, wenn Sie bereit sind, die zusätzlichen Verpflichtungen anzunehmen, die dies mit sich bringt. Dabei ist es von Vorteil, einen erwachsenen, selbstbewussten Hund zu sich zu nehmen, von dem bekannt ist, dass er keine Trennungsangst hat. So kann er eventuell Ihrem ersten Hund helfen, Ihre Abwesenheit besser zu verkraften. Dieser wäre nicht mehr allein und könnte sehen, wie sein Kumpel das Alleinsein voller Zuversicht und Ruhe erlebt. Wenn Sie sich das vorstellen können, empfehlen wir Ihnen sehr, sich bei diesem Prozess von Fachleuten begleiten zu lassen, damit Sie nicht Gefahr laufen, am Ende zwei Hunde zu haben, die nicht allein bleiben können.
Hundetagesstätten sind eine weitere hervorragende Lösung, vor allem zur Unterbringung von Hunden während der Arbeitszeit. Wenn Ihr Hund nicht sehr gesellig ist, sind auch Dogsitter oder Tagespensionen bei Privatpersonen eine perfekte Lösung. Sie ermöglichen Ihrem Hund aus dem Haus zu kommen und den ganzen Tag über Kontakt mit Menschen zu haben.
Generell gilt übrigens: Auch wenn Ihr Hund nicht unter Trennungsangst leidet, dürfen Sie ihn selbstverständlich nicht den ganzen Tag allein zu Hause lassen. Ein Welpe sollte nicht länger als zwei Stunden, ein erwachsener Hund nicht länger als vier Stunden allein bleiben. Ein glücklicher Hund braucht in jedem Fall Aufmerksamkeit, Gesellschaft und Bewegung!
Fazit: Das Wichtigste ist, dass Sie sich die notwendige Zeit nehmen, um herauszufinden, was für Sie und Ihren Hund am besten funktioniert. Denken Sie daran, dass Hunde soziale Tiere sind und es für sie schwierig ist, allein zu bleiben. Sie sollten auch nicht zögern, sich von einem professionellen Hundetrainer beraten zu lassen. Er wird in der Lage sein, Ihr Tier zu analysieren, Sie individuell zu beraten und gegebenenfalls ein individuelles Training zusammenzustellen.
Wenn Sie einen Hund haben, der unter Trennungsangst leidet, brauchen Sie auf jeden Fall viel Geduld, Liebe und eine positive Einstellung.